hallo nachbar!

Unsere Ehrenamtlichen leisten tagtäglich so viel, dass es unmöglich ist von jeder tollen Aktion bericht zu erstatten. Doch manchmal tun sie etwas so Besonderes, was wir einfach teilen müssen.

So auch dieser Ehrenamtliche:

"Ich betreue meinen Nachbarn seit Weihnachten letzten Jahres. Er ist Rentner und seit einem Schlaganfall kurz nach Rentenbeginn halbseitig stark beeinträchtigt. Außerhalb seiner Wohnung ist er auf einen Rollstuhl und auf fremde Hilfe angewiesen.

Irgendwann im Mai erzählte er mir, dass er im Juli / August, zusammen mit seiner Betreuung zu seinem Freund an den Bodensee fahren will. Ich fand die Idee prima, weil ich wusste, es würde ihm guttun, aus seinem Alltag rauszukommen und seinen Freund wieder zu sehen. Der Freund hatte etwa zur gleichen Zeit ebenfalls einen Schlaganfall. Allerdings wurde er rechtzeitig medizinisch versorgt, weil es sich im Krankenhaus ereignete. Darum nahm die Krankheit bei ihm einen deutlich milderen Verlauf.

Als ich meinen Nachbarn im Juni besuchte, bat er mich, mit ihm zum Bahnhof zu fahren, damit er dort die Fahrt zum Bodensee buchen kann. Wir fuhren also zum Bahnhof, mussten dort aber erfahren, dass die Deutsche Bahn keine durchgehenden Züge mehr von Düsseldorf zum Bodensee anbietet. Umsteigen mit Rollstuhl kam für den Nachbarn jedoch nicht in Frage.

Völlig frustriert kehrten wir im nächsten Biergarten ein, um uns zu sammeln. Dabei kam es in etwa zu folgendem Dialog:

Er: „Wenn ich noch mein Auto hätte…“

Ich: „Ja, oder meins…Oder ich könnte Euch auch hinbringen….“

Er: „Ja, das ginge auch…“

Ich: „Dann kläre mal mit Deinem Freund und Deiner Hilfe, wann es zeitlich passt.“

So gingen wir an diesem Tag auseinander – nicht ahnend, wie sich diese Geschichte noch entwickeln sollte…

Ein paar Tage später rief mich ein aufgelöster Nachbar an, und berichtete, dass die Betreuung vor Ende September auf gar keinen Fall frei bekommen würde, womit sich das Thema Urlaub erledigt hätte. Bevor er auflegen konnte, fragte ich so ganz beiläufig, was denn die Urlaubsbegleitung für Qualifikationen haben müsse und bekam zur Antwort, dass er lediglich morgens und abends Unterstützung beim An- und Ablegen von Jacke, T-Shirt und Pulli benötige. Daraufhin habe ich, ohne lange nachzudenken, gefragt, ob er sich vorstellen könne, dass ich mit ihm fahre.

Und so kam es, dass wir uns am 18. August morgens um 10 Uhr von Düsseldorf auf den Weg zum Bodensee machten und dort rund 6 Stunden später ankamen. Der Empfang beim Freund des Nachbarn und seiner Frau war überaus herzlich, dass ich mich sofort wie daheim gefühlt habe. Besonders schön war es aber, zu sehen, wie mein Nachbar in der Gegenwart seiner Freunde mit jeder Stunde mehr aufblühte!

Allerdings stellte sich recht bald heraus, dass weder das Bett noch die Toiletten im Haus den Anforderungen an die körperlichen Beeinträchtigungen gewachsen waren! Da es kein Pflegebett mit „Galgen“ zum Hochziehen gab, war es dem Nachbarn nahezu unmöglich, allein ins Bett oder wieder herauszukommen. Auch der Gang zur Toilette war eine beständige Herausforderung und nicht immer ging alles glatt von statten.

Auch bei unseren Ausflügen in die Umgebung war der Gang zur Toilette immer wieder eine Aufgabe, die es zu bewältigen galt, da die Lokale vielerorts überhaupt nicht auf Behinderte eingestellt waren.

Auch wenn ich nicht allzu zimperlich bin, so ist es doch ein Riesenunterschied, ob man einer fremden Person beim Anziehen einer Jacke oder beim Toilettengang behilflich sein muss. Ich sage bewusst „muss“, weil ich in dem Moment, wenn der Nachbar sein Bedürfnis benannte, eigentlich schon keine Wahl mehr hatte. Das war anfangs nicht einfach. Im Nachhinein denke ich, dass es vielleicht einfacher gewesen wäre, wenn ich es im Vorfeld gewusst hätte. Aber es kann genauso gut sein, dass ich dann von der Reise Abstand genommen hätte.

Für den Nachbarn war es ebenfalls nicht einfach und die Erkenntnis, dass er doch mehr Unterstützung benötigt, war ihm sehr peinlich. Wir haben eines Abends mal offen über die für uns beiden schwierige Situation gesprochen und dann entschieden, dass wir ja den Urlaub genießen wollen und darum einfach versuchen werden, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind und das Beste daraus zu machen.

Unterm Strich muss ich sagen, dass wir das geschafft haben! Wir hatten 6 richtig schöne Tage. Das Wetter hätte besser sein dürfen, aber dafür hatten wir eine tolle Unterkunft bei mega-netten Menschen, incl. Verköstigung – für umsonst!

Zurück in Düsseldorf standen wir dann noch 45 Minuten beim Nachbarn (er mit voller Blase!)  vor verschlossener Wohnungstür, weil er nur einen von beiden Schlüsseln mitgenommen hatte. Aber auch diese Geschichte nahm noch ein gutes Ende!

Fazit: Bodensee – wir kommen wieder! Einladung steht bereits. Und ich bin mir sicher, dass mein Nachbar noch eine Weile von diesem Urlaub zehren wird. Und dann hat sich die ganze Mühe gelohnt."